Ein Ehrenamt hat viele Gesichter

Am 5. Dezember wird der „Internationale Tag des Ehrenamts“ seit Mitte der 1980iger Jahre jedes Jahr bundesweit auf unterschiedlichste Art und Weise begangen. Der Rheinbacher Bürgermeister empfängt seit Einführung der Ehrenamtskarte NRW im Jahr 2022 die Inhaberinnen und Inhaber der Ehrenamtskarte NWR bzw. der Jubiläums-Ehrenamtskarte NRW, um den außergewöhnlich hohen Einsatz zu würden. Darüber hinaus nehmen wir den heutigen Tag zum Anlass, eine Reihe zu starten, um dem Ehrenamt in Rheinbach ein Gesicht zu geben: Geplant ist, in monatlichen Abständen Ehrenamtliche vorzustellen, die die große Spannbreite des Engagements, das in Rheinbach geleistet wird, zu zeigen. Den Auftakt für dieses neue Format macht Doris Kübler, die über Jahrzehnte hinweg vielfältig in unserer Stadt im Einsatz war. 

Dass es ehrenamtliches Engagement in unzähligen Formen gibt, weiß Doris Kübler aus eigener Erfahrung. Das Richtige für sich zu finden, kann eine echte Herausforderung sein. Denn obwohl unentgeltliches Mitwirken als wertvoll und wichtig gilt, wird das freiwillige „Zeit schenken“ nicht immer anerkannt – leider manchmal sogar belächelt.

Doris Kübler, die seit fast vier Jahrzehnten in Rheinbach lebt, positioniert sich dazu eindeutig. Nicht nur in Worten, sondern vor allem in Taten. Voller Herzblut hat sie sich im Rahmen ihrer Tätigkeit als Lehrerin für Religion und Latein am Sankt-Joseph-Gymnasium im Zeitraum zwischen 1973 und 2012 engagiert. Außerdem war sie siebzehn Jahre lang bis 2007 für die Grünen sachkundige Bürgerin und Ratsmitglied im Rat der Stadt Rheinbach. In dieser Funktion, insbesondere auch als Fraktionsvorsitzende, schaute sie mit offenen Augen hin und verknüpfte Kontakte, entwickelte Ideen und setzte sie um. Neben ihrem Einsatz in verschiedenen Gremien und Initiativen war sie in den vergangenen elf Jahren als Sprecherin des Freiwilligenzentrums BLICKWECHSEL aktiv. In diesem Jahr hat sie den Staffelstab dieses Amtes weitergegeben. 

Sie waren vielschichtig im Einsatz. Wie und wo fing alles an?

„1988 sind wir nach Rheinbach gezogen. Als unsere Kinder dann aus dem Haus waren, konnte ich mich mehr engagieren und war in der ev. Gnadenkirche aktiv. Ich war Mitglied im Presbyterium und dort in verschiedenen Ausschüssen, habe mich z.B. beim Kinderbibeltag eingebracht und noch vieles mehr mitgestaltet. Und parallel dazu bei den Grünen, denn an der Ökologie, der Verantwortung für die Schöpfung Gottes hängt mein Herz. Ich komme aus einem religiösen Elternhaus und da habe ich vieles wahrgenommen, bewusster hingeschaut.“

Im Kern geht es Ihnen also um Verantwortungsbewusstsein?

„Ja, von meinen Eltern habe ich mitgenommen, Verantwortung zu übernehmen. Das prägt mich noch heute. Es reicht nicht zu reden. Es kommt darauf an, dass Du etwas Gutes tust.“ 

Wenn Sie auf all Ihre Tätigkeiten zurückblicken, wo würden Sie sagen, lag der Schwerpunkt Ihres Engagements?

„Das ist schwierig zu beantworten. Es griff alles ineinander. Die Kernzelle aber war vielleicht meine Leitungsfunktion im Entwicklungshilfeprojekt des Sankt Joseph Gymnasiums, durch das wir in Indien an vielen Orten Hilfe leisten konnten. Bis zu meiner Pensionierung im Jahr 2012 war ich hier aktiv. Darüber hinaus war ich immer bereit für weitere Engagements. Es musste aber immer etwas sein, das Menschen zusammenbringt“. 

Was war das für ein Entwicklungshilfeprojekt?

„Irgendwann kam die Idee auf, ein Schulprojekt in Indien zu realisieren. Die Initiative zur Gründung habe ich zusammen mit einer Ordensschwester ergriffen. Schülerinnen und Lehrkräften ging es vor allem darum, Spenden zu sammeln und Sponsoren zu gewinnen. Wir haben jedes Jahr ca. 30 - 40 000 DM gesammelt und damit den Bau von Schulen, Internaten und Ausbildungszentren auf dem Land um Patna finanziert. Die Ordenshäuser dort konnten wir als Anlaufstelle nutzen. Das Geld wurde gut und sinnvoll eingesetzt, aber es ging in diesem Projekt auch darum, Verantwortung zu übernehmen. Bis heute werde ich von Schülerinnen, die damals z. B. Waffeln gebacken und diese verkauft haben, darauf angesprochen. Wir waren häufig in Indien, haben geschaut, ob die Gelder sinnvoll verwendet wurden, und haben in der Schule Rechenschaft abgelegt.

Es gibt viele Menschen, die sagen, sie haben keine Zeit für so etwas. Sind eingespannt in Beruf und Familie. Können Sie nachvollziehen, dass jemand sagt, er kann sich nicht auch noch ein Ehrenamt aufladen?

„Natürlich kann ich das nachvollziehen. Aber es geht ja gar nicht immer darum, sich etwas aufzuladen und stundenlang irgendwo tätig zu sein. Sondern wichtig ist, Menschen in ihrer Situation zu sehen, sie wahrzunehmen. Darum habe ich mich immer bemüht, den Bedarf zu erkennen. Mein Engagement bei den Grünen war einfach, denn ich hatte schon viele Kontakte. Ein gutes Netzwerk ist das A und O. Und natürlich ist es hier in Rheinbach, also in einer Kleinstadt leichter, etwas zu bewegen als in einer Großstadt. Aber dennoch: Es ist wichtig, dass man hinschaut. Und es bringt einem selbst sehr, sehr viel.“

Inwiefern?

„Ich bin die Älteste von vier Geschwistern und habe damals Kraft immer in meiner Familie gefunden. Während des Studiums war ich auf der Suche nach Verantwortung und habe mich in der Studentenseelsorge engagiert. Das hat meine Selbstwahrnehmung verändert. Das Wissen, dass das Gespräch für das Gegenüber entscheidend ist, hat mich sehr beeindruckt. Ich habe gemerkt, was ich verändern kann, was ich bewirken kann, wie ich helfen kann. Daran bin ich sehr gewachsen.“ 

Sie meinen, ehrenamtlich Tätige sind also gar nicht immer nur für andere aktiv?

„Genau, das Ehrenamt scheint auf den ersten Blick etwas zu sein, was man nur für die anderen tut. Aber ehrenamtliche Tätigkeit ist keine Einbahnstraße. Im Gegenteil: Man wächst daran. In seiner Persönlichkeit. Für sich selber.“

Was braucht es für einen guten Einsatz für die Gesellschaft?

„Es braucht die Fähigkeit Probleme zu erkennen und Ideen umzusetzen. Es braucht auch das passende Umfeld, den richtigen Boden, auf dem die Umsetzung dieser Ideen wachsen können. Die kulturelle und soziale Umgebung ist extrem wichtig, Menschen müssen zusammenpassen. Ist da die rheinische Mentalität als Grundlage nicht eine hervorragende Ausgangsbasis?“.

Sie waren in verschiedenen Themen unterwegs: Die Anerkennung Rheinbachs als Fairtrade-Stadt, die Sie als Sprecherin mit der Steuerungsgruppe ermöglicht haben, Ihr Mitwirken im Flüchtlingshelferkreis, das Engagement im Projekt „Plastikfreies Rheinbach“ und dann haben Sie schließlich noch das Freiwilligenzentrum Blickwechsel aufgebaut und elf Jahre geprägt und begleitet – was haben Sie Menschen auf der Suche nach einer passenden Tätigkeit in der Beratung im Blickwechsel mitgegeben?

„Ich habe in der Beratung einen Gedanken mitgegeben: Man muss mit offenen Augen durch die Welt gehen, offen auf Menschen zugehen. 

Als Beispiel habe ich von der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 erzählt, wie man einfach nur durch Hinschauen etwas bewegen kann. Aus einer einzigen Begegnung mit einem Flüchtling bin ich in ein Ehrenamt gestolpert. Ein junger Mann aus Afrika saß damals auf dem Lindenplatz und weinte. Das war der Wendpunkt, da dachte ich, dass wir etwas tun müssen. Es fand sich ein kleiner Helferkreis und nach kürzester Zeit waren rund 500 Ehrenamtliche mobilisiert, ein tolles Netzwerk. Die Kirchen und die Stadt haben damals viele Versprechungen gemacht, aber es passierte leider zu wenig. Es kamen immer mehr Helferinnen und Helfer, die zusammen an einem Strang zogen. Schließlich waren 600 Flüchtlinge fast in einer 1:1 Betreuung. Das war alles sehr bewegend.

Immer wieder ist zu lesen, dass es grundsätzlich schwerer wird, Menschen zu finden, die ehrenamtlich tätig sind und ihre Zeit unentgeltlich der Gesellschaft schenken. Sehen Sie das auch so?

„Ja, Menschen zu finden, die bereit sind, sich langfristig zu engagieren, ist schwieriger geworden. Die wenigsten wollen heute noch dauerhaft in der Verantwortung stehen oder sich für längere Zeit binden. Viele wollen aber projektbezogen aktiv sein. Daher müssen wir neue Formen des Ehrenamtes finden.

Gibt es überhaupt Jugendliche, die sich engagieren möchten?

„Das schon! Die Taschengeldbörse, die wir über den Blickwechsel anbieten, ist sehr erfolgreich. Hier können Schülerinnen und Schüler sich ein wenig Geld dazu verdienen. Und sie übernehmen früh kleinere Aufgaben mit Verantwortung.“

Eine letzte Frage: Was liegt Ihnen besonders am Herzen, was wäre Ihnen wichtig, in Rheinbach zu realisieren?

„Oh, um Menschen zusammenzubringen würde ich Begegnungsorte schaffen, kostenlos und niederschwellig, einfach so. Vielleicht „Klönbänke“ an einem schönen Ort, auf dem Altstadt- oder Lindenplatz?